Wie ein Phönix aus der Asche

Um uns einen Überblick zu verschaffen, fangen wir mit dem zeitlichen Rahmen an. Die Sowjetunion stand siegreich in den Nachwehen des zweiten Weltkrieges und beanspruchte Ostdeutschland. Mit diesem neuen Gebiet erhielt sie auch eine bedeutende Ressource für ihre aufkeimende Nation: das Wissen und die Werkzeuge der weltweit bekannten deutschen fotografischen Industrie. Ganze Fabriken wurden demontiert und gen Osten verschifft. Dazu bestimmt, die Sowjets mit Weltklassegütern zu versorgen, auf dass diese ihr Leben und Lieben dokumentierten.

Ein Nutznießer dieser neuen Technologie war GOMZ, eine elegante Abkürzung für "Gosularstvennyi Optiko-Mekhanicheskii Zavod" (staatliche optisch-mechanische Fabrik). 1932 in Sankt Petersburg (Leningrad) gegründet, war sie die älteste optische Firma Russlands. 1965 änderte sie ihren Namen zu dem uns sehr bekannten: "Leningradskoe Optiko Mekhanichesko Obedinenie" (Optisch-mechanische Vereinigung Leningrads) kurz LOMO.

Etwa ein Jahr nach Kriegsende brachte GOMZ eine brandneue Kamera auf den Markt. Nach der kommunistischen Jugendorganisation der Sowjetunion benannt, bekam diese kleine zweiäugige Mittelformatkamera den Namen "Komsomolets". Sie war ganz offensichtlich eine Kopie der Voitländer Brilliant – eine wegweisende Kamera, die schon zehn Jahre zuvor entwickelt wurde. Die "Komsomlets" verfügte über eine Glaslinse und ein leichtes Bakelitgehäuse (eine Vorform von Plastik). Ungeachtet der Einfachheit der Kamera und ihres klaren Hommage-Designs war sie eine beachtliche Leistung für ein Land, das kurz zuvor noch inmitten eines Weltkriegs steckte.

Die Verzauberung des Amateurs

Nach einigen Jahren der Komsomolet-Produktion, stellte GOMZ stolz eine neue Kamera vor, die eine ganz wichtige Besonderheit aufwies: gekoppelte Linsen! Das bedeutet, dass durch das Drehen der Fokussierlinse gleichzeitig auch die Aufnahmelinse eingestellt wird. Eine Technik, die dem Fotografen ein präzises Anvisieren erlaubt. Die Kamera wurde "Lubitel" getauft, was aus dem Russischen grob übersetzt "Amateur" bedeutet. Aus diesen kleinen Anfängen, sollte eine ganze Serie von Kameras erwachsen.

In den nächsten Abschnitten geht es um die unterschiedlichen Lubitel-Modelle, sowie deren Vorzüge und Besonderheiten. Eines sei gleich voran gestellt: von der Entwicklung der Kamera 1949 bis zu deren Produktionsende in den frühen 90ern, wurden geschätzte 4 bis 5 Millionen Kameras produziert! Wenngleich niemand die exakte Produktionszahl kennt, kann man davon ausgehen, dass an der Lubitel-Familie insgesamt nicht weniger als 8 bis 10 Millionen russische Linsen verarbeitetet wurden. Bei diesen beeindruckenden Zahlen kann man sich leicht vorstellen, welche Wirkung die Lubitel auf Fans und Besitzer hatte. Und zwar sowohl innerhalb, als auch außerhalb der Sowjetunion. Doch genug der Geschichte, lass dich nun durch den großen Stammbaum der Lubite-Familie führen:

Amateur

Lubitel Modelle

Komsomolets

Komsomolets "Junger Kommunist"

  • Produziert von 1946- 1959 / ca. 25.000 Stück
  • Zentralverschluss mit B, 1/25, 1/50. 1/100s
  • T-21 80/6.3 Aufnahmelinse, 75/4.5 Sucherlinse

Wahrscheinlich nach der kommunistischen Jugendvereinigung "Komsomolets" benannt, war diese Kamera das erste Produkt der aufblühenden sowjetischen Fotoindustrie. Die Komsomlets war außerdem die erste TLR-Kamera, die in der Sowjetunion entwickelt wurde. Abgesehen von ein paar Vereinfachungen an Design und Gehäuse handelt es sich um eine Kopie der nicht fokussierbaren Voigtländer-Brilliant. Sie wurde aus Bakelit gefertigt - einem Vorgänger des modernen Kunststoffes. Obwohl die fokussierende Voigtländer-Brilliant schon acht Jahre früher auf den Markt gekommen war, wurde bei der Komsomolets jene (älterere) Brilliant-Variante kopiert, bei der Sucher- und Aufnahmelinse noch nicht verbunden waren.

Wie die Brilliant, wurde auch die Komsomolets mit einem kleinen Fach versehen, um Filter und Linsen zu verstauen.

Lubitel amateur

Lubitel "Amateur"

  • Produziert von 1949 – 1956 / über eine Million Stück
  • Zentralverschluss “ZT-5”: 1/10 – 1/200s
  • T22 75/4.5 Aufnahmelinse (vergütet), 60/2.8 Sucherlinse

Der Erfolg der Komsomolets bringt eine bedeutende Weiterentwicklung hervor, die, inspiriertet durch die 1938 entstandene Voigtländer Brilliant, miteinander verzahnte Sucher- und Aufnahmelinsen aufweist. Ein bedeutender Schritt in Sachen Handhabung. Die Lubitel verfügt außerdem über mehrere Verschlusszeiten, eine Lichtstärke von 1:2,8 und einen größeren Bildausschnitt.

Der Name "Lubitel" bedeutet grob übersetzt "Amateur" – also jemand, dem sicherlich Freudenschreie entweichen, wenn er eine Lubitel unter seinem Weihnachtsbaum findet. Sie besteht, wie auch die Komsomolets, aus Bakelit. Eine nicht uninteressante Randnotiz: Im Jahre 1961 kam unter dem seltsamen Namen "Changle" eine chinesische Kopie dieser Kamera auf den Markt.

Lubitel 2

LUBITEL 2

  • Produktion von 1955-1980, über zwei Millionen Stück

Die Lubitel 2 ist eine weitere Bakelit-Schönheit, die, bis auf ein paar kleine Veränderungen, im Grunde identisch mit ihrer Vorgängerin ist. Für die Modifikationen zeichnete ein Herr namens G. Barkovski verantwortlich. Hervorzuheben sind vor allem der Selbstauslöser sowie der synchronisierte Blitzanschluss. Auch in das Gehäuse der Lubitel 2 wurde ein kleines Fach für zwei Filter eingelassen.

Der Produktionsumfang dieses Modells kann durchaus als ENORM bezeichnet werden! Immerhin wurde die Lubitel 2 nicht weniger als zweieinhalb Jahrzehnte lang produziert (man könnte also auch von einem Vierteljahrhundert sprechen). Interessant sind auch die unterschiedlichen Texturen im Bakelit. Wenn man Lubitel-2-Modelle verschiedener Jahre vergleicht, lassen sich deutliche Unterschiede am Material feststellen. Lubitel-2-Kameras wurden sowohl mit kyrillischen als auch mit lateinischen Namensschildern versehen und für eine Vielzahl anderer Märkte und Partner produziert. Eine erwähnenswerte Variante war etwa die Kalimar TLR100.

Lubitel166

LUBITEL 166

  • Produziert von 1976-1986, circa 70.000 Stück

Mit dem Produktionsbeginn '76 wurde das Gehäuse von Bakelit auf "modernes" Plastik umgestellt. Mit einer Stückzahl von "nur" rund 70.000 handelt es sich bei der Lubitel 166 um ein ziemlich seltenes Modell. Gegenüber der Lubitel 2 weist sie ein paar signifikante Verbesserungen auf. So etwa einen Bildzähler (statt des roten Fensterchens) und einen verbundenen Vorspul- und Auslösehebel. Eines der beliebtesten Sammlerstücke ist die 1980 entstandene Variante zum Gedenken an die Olympischen Spiele in Moskau, die mit einem kleinen Olympia-Symbol versehen wurde.

Lubitel166 b

LUBITEL 166B

  • Produziert von 1980-1990, ca. 900.000 Stück

Diesem Modell liegt die innovative Lubitel 166 zu Grunde, verschwunden sind jedoch Bildzähler sowie der gekoppelte Spul- und Auslösehebel. Um die Einstellung zu vereinfachen, wurden erstmals kleine Wettersymbole angebracht.

Universal

LUBITEL 166 UNIVERSAL

  • Produziert von 1983- 1993, circa 40.0000 Stück

Diese Schönheit beendet das Kapitel der Lubitel- Produktion von LOMO in St. Petersburg. Die Universal ist mit der 166b identisch, beinhaltet aber einen Einsatzrahmen für zwei Bildformate: 6x6 und 6x4,5 cm. Die Kamera wurde bis 1993 hergestellt.

Lubitel Kuriosität

SPUTNIK STEREO CAMERA

  • Produziert von 1955-1973, ca. 400.000 Stück

Diese dreiäugige Stereokamera sieht aus wie zwei zusammengeschraubte Lubitels. Doch wenngleich sie mit der Lubitel viele mechanische Gemeinsamkeiten teilt, ist die Sputnik doch eine Kamera für sich.

Aufgrund der Gemeinsamkeiten haben wir beschlossen, die Sputnik als Teil der Lubitel-Familie vorzustellen. In Bakelit gekleidet, wurde die Sputnik bei LOMO in Sankt Petersburg hergestellt. Die Kamera ist mit 75/4,5-Linsen, einem Lichtschachtsucher und Auslösezeiten von 1/10-1/250 ausgestattet. Jedes Auslösen ergibt zwei fast identische Bilder. "Fast" ist dabei das ausschlaggebende Wort. Die beiden Bilder weisen eine leicht verschobene Perspektive auf, wodurch sich – durch eine sogenannte "Stereobrille" betrachtet – ein 3D-Effekt ergibt.

Sputnik